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Fakultät Sozialwissenschaften

Arbeitspolitik und Gesundheit

Der Forschungsbereich untersucht aus einer arbeitssoziologischen Perspektive Entstehungsbedingungen sowie Herstellungs- und Erhaltungsprozesse von Gesundheit auf individueller, sozialer und organisationaler Ebene. Ausgehend von den Wechselwirkungen zwischen Arbeit und Gesundheit lenkt dies den Blick auf betriebliche und überbetriebliche Hintergründe, Konzepte und Umsetzungsbedingungen präventiver Arbeitsgestaltung sowie des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Arbeitspolitik als zentrales Feld der zukünftigen Rahmensetzung von stärker entgrenzter, flexibilisierter und subjektivierter Arbeit ist dabei der Schlüssel, um die Herausforderungen der Veränderungen der Arbeitswelt zu bewältigen und diese für eine beschäftigtengerechte Arbeitsgestaltung nutzbar zu machen.

Gesundheit verstehen wir als Zustand umfassenden Wohlbefindens im Ergebnis der dynamischen Auseinandersetzung zwischen sozialen, biologischen und physikalischen Umwelteinflüssen und den eigenen Abwehrmechanismen und Lebensentwürfen (nach Rimann, Udris 1998, S. 352). Zugleich ist das, was in unserer Gesellschaft als ,gesund' gilt, (auch) als ein soziales Konstrukt zu verstehen. In der durch Erwerbsarbeit ermöglichten Tätigkeit, Kommunikation, Identität und sozialen Anerkennung liegen gesundheitsförderliche Potentiale wie auch Risiken von physischen und psychosozialen Belastungen für die Individuen. Ist eine Balance nicht gegeben, können daraus gesundheitliche Beschwerden und Erkrankungen resultieren. Die gesundheitlichen Chancen und Risiken der Erwerbsarbeit wirken in die Lebensbereiche außerhalb der Erwerbssphäre hinein und vice versa. Mit dem Wandel von Arbeit und Gesellschaft verändern sich somit (auch die kulturellen) Entstehungs-, Herstellungs- und Erhaltungsbedingungen von Gesundheit. Ziel unserer Forschungsbemühungen in diesem Kontext ist es, zu einer gesundheitlichen Chancengleichheit beizutragen, indem besonders vulnerable Gruppen in den Blick genommen werden. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie Gesundheit in Arbeit und durch Arbeit hergestellt und erhalten werden kann.

Bei der Beschäftigung mit Arbeit liegt der Fokus auf Erwerbsarbeit. Daneben fließen auch nicht entlohnte Formen wie Ehrenamt, Qualifizierungsperioden und Reproduktionsarbeit in die Betrachtungen ein. Der breite Blickwinkel stellt sicher, dass die Verzahnung zwischen den Anforderungen an die arbeitenden Subjekte aus der Lebens- und der Arbeitswelt sowie die Stellung von Arbeit im Lebensverlauf berücksichtigt werden können. Arbeit, in jeglicher Form, kann ihre salutogene, identitäts- und sinnstiftende Funktion nur entfalten, wenn sich die belastenden Faktoren und die Ressourcen mindestens die Waage halten und die Autonomie der Beschäftigten erhalten bleibt. Den Rahmen der Forschungen im Bereich bildet der Wandel von Arbeitswelt und Gesellschaft. Phasen des Umbruchs als i.d.R. ökonomisch getriebene, unter dem Gesichtspunkt beschäftigtengerechter Arbeitsgestaltung ergebnisoffene Prozesse verdienen besondere Aufmerksamkeit. Unsere Ausgangsthese ist, dass Wandel grundsätzlich Gestaltungschancen, aber auch -notwendigkeiten schafft. Aktuell entstehen durch die fortschreitende Digitalisierung massive Veränderungen in Arbeitswelt und Gesellschaft, deren Gestaltung konzeptioneller und empirischer Fundierung bedarf.

Arbeitspolitik bildet den zentralen Rahmen der Aushandlungsprozesse auf gesellschaftlicher, institutioneller und betrieblicher Ebene zur (menschengerechten) Gestaltung des Wandels von Arbeit. Diese Prozesse sind immer auch unweigerlich mit Gesundheit und Krankheit verknüpft, als Ausdruck sozialer Repräsentationen auf gesellschaftlicher sowie betrieblicher Ebene. Arbeitspolitik umfasst dabei zum einen die Ebene der unmittelbaren Beteiligung von abhängig Beschäftigten sowie Interessenvertretungen in organisatorischen Zusammenhängen. Zum anderen bezieht sie sich auf die Entwicklungsprozesse institutionalisierter Regelungen von Arbeit sowie deren Umsetzung im Spannungsfeld von Arbeit und Kapital.

Im Rahmen der Forschung nimmt die Akteursperspektive einen hohen Stellenwert ein, sowohl in ihrer essentiellen Funktion für eine umfassende Durchdringung des Gegenstandes als auch als Ansatzpunkt für Veränderungs- und Empowermentkonzepte. Die thematische Arbeit baut stark auf dem Konzept der Salutogenese auf (Antonovsky 1987), das den Blick für die Ressourcenperspektive und die sozialen Herstellungsprozesse von Gesundheit und Sicherheit im Arbeitsalltag öffnet und hilft, Möglichkeiten zur Unterstützung ihres Erfolges durch organisatorische und institutionelle Maßnahmen zu erschließen.

Ziel der Forschungsbemühungen im Bereich ist es zum einen, theoretisch und empirisch gewonnenes Wissen in anwendbare Konzepte und Maßnahmen zu überführen als auch Wissensbestände aus der betrieblichen und überbetrieblichen Praxis für wissenschaftliche Diskurse zu erschließen. Die Anerkennung der Expert:innenrolle der Beschäftigten/Betroffenen und deren Einbezug in die Erarbeitung der Inhalte sind essentielle Grundlage für unsere Forschungsarbeit auf nationaler wie internationaler Ebene. Wir forschen überwiegend empirisch und mittels qualitativer wie quantitativer Methoden, die je nach Forschungsgegenstand im Sinne der Methodentriangulation verknüpft werden

 

Die Arbeit des Forschungsbereichs Arbeitspolitik und Gesundheit lässt sich vor diesem Hintergrund in folgenden thematischen Feldern skizzieren, die wir bearbeiten bzw. zukünftig weiter erschließen wollen.

  • Beschäftigtengerechte, präventive Arbeitsgestaltung und Gesundheitsförderung in Zeiten des Wandels
  • Arbeitspolitik als Handlungsrahmen für Mitbestimmungs- und Gestaltungsprozesse von Arbeit auf gesellschaftlicher und betrieblicher Ebene
  • Konzepte und Felder der (Arbeitsmarkt)Integration

Zentrale Fragestellungen des Forschungsbereichs sind unter anderem:

  • Wie lässt sich subjektive Gesundheit in und durch Arbeit herstellen, erhalten und fördern?
  • Wie kann Arbeit im Wandel so gestaltet werden, dass die salutogenen Faktoren zum Tragen kommen, insbesondere im Hinblick auf die steigenden psychosozialen Belastungen?
  • Wie lassen sich Konzepte beschäftigtengerechter Arbeitsgestaltung auf betrieblicher und überbetrieblicher Ebene durchsetzen?
  • Wie können die sinnstiftenden Elemente der Arbeit für arbeitsmarktferne Personengruppen erschlossen werden?

Koordination:

Wissenschaftliche Mitarbeiter:innen:

Studentische und wissenschaftliche Hilfskräfte:

Vertiefungstexte

Die neuere Gesundheitsforschung hat sich darauf konzentriert, neben der Senkung der pathogenen Faktoren (in der Arbeitswelt durch Abbau oder Verminderung echter oder vermuteter Gesundheitsbelastungen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung nach ArbSchG) gleichberechtigt die Förderung salutogener, das Wohlbefinden steigernder Faktoren zu analysieren. Beschäftigtengerechte Arbeitsgestaltung meint die Schaffung eines aufgabengerechten, optimalen Zusammenwirkens von arbeitenden Menschen, Betriebsmitteln und Arbeitsgegenständen. Arbeitsgestaltung als Ziel betrieblicher und überbetrieblicher Arbeitsschutz-, Gesundheitsförderungs- und Präventionsbestrebungen geht in ihrem Anspruch über eine Schädigungslosigkeit und Beeinträchtigungsfreiheit hinaus. Der Ansatz zielt auf eine gesundheits- und lernförderliche Arbeitsorganisation und -gestaltung, die diskriminierungsfrei, beteiligungsorientiert und ressourcenschonend salutogene Ansätze aufgreift sowie Handlungsspielräume erhält und fördert. Dafür braucht es Konzepte und betriebliche Umsetzungsstrategien. Vor diesem Hintergrund sind die im Bereich verfolgten Hauptfragestellungen, wo in der heutigen Arbeitswelt die Stellschrauben für beschäftigtengerechte Arbeitsgestaltung liegen, welche Maßnahmen geeignet und wie diese betrieblich oder überbetrieblich umsetzbar sind.

Forschungsfelder beinhalten daher die Gesamtheit der Strategien und Maßnahmen der Gesundheitspolitiken, die darauf zielen, potentiell krankmachenden Einflüsse zu bekämpfen, Krankheiten und Gesundheitsbeeinträchtigungen oder deren Verschlimmerung zu verhüten bzw. die Stärkung der Gesundheitsressourcen und -potentiale der Menschen zu erreichen. Dies schließt den Blick auf die sozial ungleich verteilten Gesundheitsbelastungen ein. In einer Reihe von Projekten des Bereichs wurde analysiert, wie gesundheitliche Ressourcen (Partizipation, Kompetenzaufbau, Gratifikation, Konfliktbewältigung) verschiedener Zielgruppen konzeptionell und praktisch-gestalterisch einzubeziehen und im Rahmen der Arbeit zu fördern sind.

Ein besonderes Augenmerk wird auf die Situation von kleinen und mittleren Unternehmen gelegt. Untersuchungsleitend ist die Hypothese, dass in der kleinbetrieblichen Arbeitswelt ein spezifisches soziales Bedingungsgefüge für die Herstellung von Sicherheit und Gesundheit existiert. Gefordert sind integrative und alltagstaugliche Lösungen, die sich aufwandsarm in die kleinbetrieblichen Arbeits- und Geschäftsprozesse einbetten lassen, zugleich aber den geltenden Normen zuverlässig entsprechen. Kern der empirischen Analyse und praktischer Umsetzungsvorschläge in einer Reihe von Forschungsprojekten in diesem Feld war und ist daher die gemeinschaftliche Entwicklung von Präventionskonzepten mit Beschäftigten, Unternehmern und in der kleinbetrieblichen Arbeitswelt wirkenden Institutionen wie Kammern und Innungen und Berufsgenossenschaften.

Insbesondere in Umbruchssituationen ist eine vorausschauende Gestaltung der Arbeit essentiell. Neue Techniken, Abläufe und Weisungswege schaffen neue Risiken für die Beschäftigten und verlangen eine Neuausrichtung der Konzepte und Methoden. Wir sehen daher im Wandel der Arbeit eine Notwendigkeit für deren Erarbeitung und Implementierung in die veränderten arbeitsorganisatorischen Abläufe.

Im Projekt „INDIGHO“ wurden Konzepte und Maßnahmen für die Sicherung von Fachkräften und der Innovationsfähigkeit im Gastgewerbe entwickelt.

Umfassende Empfehlungen für die präventive Gestaltung der Arbeit 4.0 für KMU wurden im Projekt „Prävention 4.0“ in den „Umsetzungshilfen Arbeit 4.0“ festgehalten.

Im Projekt „Athene 4.0“ wurden Konzepte lernförderlicher und gesundheitsgerechter Arbeitsgestaltung für die Digitalisierung im Handwerk im Kontext der Einführung einer Serviceplattform entwickelt.

Die zunehmenden Tendenzen der Entgrenzung und Entinstitutionalisierung machen Arbeitspolitik zugleich zu Gesellschaftspolitik. Während sich Arbeits- und Lebenswelt immer stärker miteinander verzahnen, droht den Institutionen der Arbeit der Zugriff auf ihren Gegenstand zu entgleiten. Betriebs- und Aufsichtsräte, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sowie Kammern und Verbände sind gefordert, ihre Rollen zum Teil neu zu definieren. Arbeit im Übergang wirft als Forschungsgegenstand ebenso die Frage nach direkten Partizipationsmöglichkeiten der Beschäftigten auf, auch im Kontext der Erschließung der Potenziale neuer Technologien für eine Mitbestimmung 4.0 (vgl. dazu u. a. Georg et al. 2020). So geht es in Projekten des Forschungsbereichs z.B. um neue Beteiligungsansätze auf Basis dezentraler und vernetzter Reorganisation von Arbeitsprozessen in der digitalen Transformation und eine hierauf bezogene Gestaltung institutionalisierter Mitbestimmung. Als zentrale Akteure betrieblicher Mitbestimmung nehmen Interessenvertretungen sowohl als Untersuchungsgegenstand als auch als Transferpartner eine wesentliche Rolle ein. In Projekten werden Durchsetzungsmöglichkeiten im Rahmen der Konfliktpartnerschaft sowie Binnenstrukturen von Betriebsratsgremien und gremiumsinterne Aushandlungsprozesse erforscht und begleitet. Der Forschungsbereich unterstützt durch Bereitstellung wissenschaftlicher Expertise und gemeinsamer projektförmiger Entwicklung von Problemlösungen Interessenvertretungsorgane dabei, eine Konfliktpartnerschaft auf Augenhöhe zu praktizieren und beteiligt sich an gewerkschaftlichen Debatten zu Arbeitspolitik und Arbeitsintensivierung.

Im Projekt „Präventive Arbeitsgestaltung unter Nutzung der §§ 90 und 91 BetrVG“ wurde die gesetzliche Fundierung von Betriebsratshandeln unter dem Gesichtspunkt der (rechtzeitigen) Beteiligung an unternehmerischen Entscheidungen und die Erschließung gesicherter arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse für beschäftigtengerechte Arbeitsgestaltung untersucht.

Im Projekt „Prävention 4.0“ standen Wege der beschäftigtengerechten Mitgestaltung der digitalen Transformation durch Interessenvertretungen im Fokus der Betrachtungen.

Das Projekt „Nachfolgeplanung und Übergangsgestaltung im Betriebsrat“ untersucht Handlungsprozesse in Übergangsprozessen bei Vorsitzwechseln innerhalb des Betriebsratsgremiums.

Im Projekt „CAUSA-A“ wurden Fragen nach sicherem und gesundem Arbeiten unter Einfluss der COVID 19 Pandemie innerhalb und außerhalb des Ortes Betrieb untersucht.

Durch ungleich verteilte biografische Chancen entstehen strukturelle Benachteiligungen ganzer Personengruppen, deren Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft eine zentrale arbeits- und gesellschaftspolitische Herausforderung ist. Benachteiligende Merkmale können hierbei in sozioökonomischen, gesundheitlichen und Bildungsungleichheiten liegen. Häufig verstärken sich dabei Stigmata durch Außenstehende und geringe Selbstwirksamkeitserwartungen durch Misserfolgserfahrungen auf Seiten der Zielgruppe gegenseitig. Um diese Mechanismen zu überwinden, bedarf es Ansätze, die die Zielgruppen dabei unterstützen, ihre Potenziale zu erkennen, auszubauen und schließlich ihre Außenwirkung zu verändern. Daher fokussieren unsere Forschungsansätze besonders auf stärkenorientierte Ansätze, die ein Empowerment der Individuen unterstützen. In der Praxis existieren einige vielversprechende Ansätze, deren Sichtbarkeit durch verschiedene Diffusionsgrenzen limitiert ist. Der Forschungsbereich sieht seine Aufgabe daher vor allem in der Stärkung der Diffusionspotenziale von erfolgreichen Methoden durch wissenschaftliche Begleitung, Evaluation sowie Weiterentwicklung und Aufbereitung der Ansätze für wissenschaftliche Diskurse und den weiteren Praxistransfer.

Besonders vielversprechend sind zielgruppenspezifische Ansätze, die nach einem ersten Schritt der Stabilisierung der Zielgruppe den Aufbau erforderlicher Kompetenzen mit positiven Erlebnissen zur Stärkung der eigenen Selbstwirksamkeitserwartung verbinden. Ein verfolgter Forschungsstrang ist dabei der Ansatz der Sozialen Kunst als Bildungsprinzip, der auf Persönlichkeitsstärkung basiert und hohe Erfolgsquoten in der Arbeitsmarktintegration von Personen mit multiplen Vermittlungshemmnissen aufweist. Hier unterstützen wir in europäischen Projekten insbesondere die transnationale Erschließung der Methode für länderspezifische Problemlagen.

Im Projekt GUIDE steht der (Wieder-)Herstellungsprozess von Gesundheit bei Menschen in Langzeitarbeitslosigkeit in Verbindung mit einer sinnstiftenden (Erwerbs-)Tätigkeit im Vordergrund.

Im Projekt JobAct Europe wird die Weiterentwicklung und Aufbereitung von Ansätzen der Sozialen Kunst als Bildungsprinzip für transnationale Problemstellungen im Empowerment vulnerabler Zielgruppen verfolgt.

Im Projekt „ArtE“ steht die Stärkung eines „Entrepreneurial Mindsets“ in Verbindung mit Theatermethoden zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit im Mittelmeerraum im Fokus.

Im Projekt „ViSAS“ wird auf europäischer Ebene das Ziel verfolgt, sozialkünstlerische Jugendarbeit in den digitalen Raum zu transferieren, um Jugendarbeit in Europa nachhaltig und innovativ zu gestalten.