Arbeit, Organisation und Partizipation im sozio-digitalen Wandel
Aktuelle gesellschaftsstrukturelle Entwicklungen (z.B. Klimawandel, demographische Umbrüche) und die Digitalisierung (v.a. KI) verändern die Lebens- und Arbeitswelten in hoher Geschwindigkeit.
Damit einher gehen neue Anforderungen an Unternehmen und deren Beschäftigte, Bildungsträger ebenso wie politische und zivilgesellschaftliche Akteure, um zukunftsfähige Lösungen für die Arbeit und das Leben von Morgen zu entwickeln. Es stellen sich die Herausforderungen, die Arbeitswelt von morgen zu gestalten, Qualifizierungs- und Partizipationsmöglichkeiten für Akteure zu eröffnen, um neue, nachhaltige Lösungen erfolgreich zu realisieren sowie die gesellschaftlichen Auswirkungen von Dekarbonisierung und Digitalisierung zu bewerten.
Zur Bearbeitung dieser Herausforderungen verbinden wir Konzepte der Arbeits- und Industriesoziologie und der sozialen Innovationsforschung. Mittels Arbeits-, Organisations- und Technikgestaltung orientieren wir uns an den Prinzipien Guter Arbeit und Humanzentrierung. Dabei greifen wir auf Prozesse sozialer Innovation wie Reallabore, Mitbestimmung und andere Formen der Partizipation zurück.
Außerdem untersuchen wir in europaweiten Multi-Stakeholder-Prozessen, welche neuen Kompetenzanforderungen durch die sozio-digitale und nachhaltige Transformation entstehen – insbesondere in industriellen und energieintensiven Sektoren, in denen technologische und ökologische Veränderungen besonders spürbar sind. Hierbei analysieren wir national und international die sozialen Auswirkungen von Dekarbonisierung und Digitalisierung auf Beschäftigte, zivilgesellschaftliche Gruppen, Politik und Regulierung sowie Forschung. Wir erforschen, wie neue Formen der Zusammenarbeit und gezielte Qualifizierungsstrategien Unternehmen und Beschäftigte unterstützen können, sich an veränderte Bedingungen anzupassen und neue, nachhaltige Geschäftsmodelle umzusetzen. Dafür untersuchen wir auch, welche sozialen Praktiken sich verändern oder verändern müssen, damit die Entwicklungen allen Akteuren zugutekommen. Dabei nutzen wir den Ansatz, Netzwerke und Ecosystems aus verschiedenen Akteuren auf der regionalen, nationalen oder europäischen Ebene für die Lösungsentwicklung zu mobilisieren und weiterzuentwickeln.
Zentrale Fragestellungen
Welche aktuellen Herausforderungen ergeben sich für die Gestaltung von Arbeit angesichts des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels?
Wie können der Strukturwandel der Arbeitswelt sozialverträglich gestaltet, Akzeptanz von Veränderungsprozessen erhöht und Innovationsprozesse mit Gestaltungsprozessen verknüpft werden?
Wie können unterschiedlichste Stakeholder (aus Industrie, Politik, Forschung & Bildung sowie Zivilgesellschaft) dazu beitragen, die Herausforderungen der Digitalisierung und Dekarbonisierung in einer sozialverträglichen und von den Betroffenen akzeptierten Weise zu lösen?
Welche Qualifizierungsstrategien und Bildungsangebote sind notwendig, um Arbeitskräfte für die sozial-ökologische Transformation vorzubereiten?
Wie können Unternehmen, Bildungseinrichtungen, politische Akteure und die Zivilgesellschaft gemeinsam innovative Lösungen für Kompetenzentwicklung und Qualifizierung in der nachhaltigen Transformation entwickeln?
Ziel unserer Forschungsarbeiten ist es, zum einen reale Entwicklungsprozesse und mögliche Entwicklungspfade empirisch zu erfassen und die Befunde in öffentlichen und wissenschaftlichen Diskursen zur Diskussion zu stellen. Zum anderen zielt unsere Arbeit auf die Entwicklung von Gestaltungshinweisen zur Förderung der Lern- und Anpassungsfähigkeit betrieblicher Akteure. Dies umfasst Aspekte der Qualifizierung ebenso wie Strukturen sowie Prozesse der Organisation und des Managements. Wir entwickeln wissenschaftlich fundierte Handlungshilfen (Leitbilder, Leitfäden, Gestaltungskriterien, Instrumente), die eine Verbesserung dieser Aspekte ermöglichen und die Handlungsoptionen bzw. Entscheidungsspielräume der Beschäftigten erweitern. Wir verfügen über ein sozialwissenschaftlich fundiertes Interventionsverständnis und Instrumentarium zur Unterstützung betrieblicher Lern- und Beteiligungsprozesse. Wichtiger Ansatzpunkt ist die Mobilisierung des Erfahrungswissens der Beschäftigten durch die problemfokussierte Organisation von Selbstreflexionsprozessen und den Aufbau adäquater Kommunikations- und Kooperationsstrukturen.
Theoretisch-konzeptionelle Bezüge und Methodik
Theoretisch-konzeptionelle Grundlagen unserer Arbeit finden sich u.a. im Konzept sozialer Innovation und in soziotechnischen bzw. soziodigitalen Bezügen. Damit folgen wir einer Betrachtungsweise, die die dynamischen Wechselwirkungen zwischen technologischen und sozialen Innovationen ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt. Demnach geben neue Technologien Anstöße, bestehende Praktiken und Strukturen zu verändern. Welche konkreten sozialen Wirkungen damit verbunden sind, wird nicht durch die Technik festgelegt, sondern hängt von ihren konkreten Nutzungszusammenhängen ab.
Unser Forschungsbereich blickt auf eine langjährige industrie-, arbeits- und organisationssoziologische Geschichte zurück. Vor dem Hintergrund der genannten theoretisch-konzeptionellen Zugänge greifen wir auf quantitative und qualitative Methoden der Sozial- und Arbeitsforschung sowie auf bewährte eigene Konzepte und Instrumente der Organisationsgestaltung bzw. -beratung zurück.
Wandel von Arbeit und Organisation:
Digitalisierung und Künstliche Intelligenz sind wichtige Treiber betrieblicher und gesellschaftlicher Veränderung, jedoch eingebettet in weitere ‚Megatrends‘ und Entwicklungsverläufe. In dieser erweiterten Perspektive betrachten wir aktuelle Herausforderungen für Beschäftigte und Betriebe. In unseren Forschungsprojekten werden z.B. Ansätze organisationaler Anpassungsfähigkeit entwickelt, die neben technischen Faktoren soziale Aspekte und Kompetenzen der Beschäftigten auf den unterschiedlichen Ebenen berücksichtigen. In anderen Vorhaben werden gemeinsam mit Projektpartnern aus Wissenschaft und Praxis neue Strategien entwickelt, bei denen technische Entwicklungen mit betriebswirtschaftlichen und arbeitsbezogenen Anforderungen verknüpft werden. Weitere Arbeiten richten sich auf die Themen Reorganisation und Vernetzung, Arbeitsorganisation, Qualifikations- und Kompetenzentwicklung oder den Wandel von geringqualifizierter Arbeit und Facharbeit.
Leitfragen:
- Welche aktuellen Herausforderungen ergeben sich für die Gestaltung von Arbeit angesichts des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels?
- Wie kann der Strukturwandel der Arbeitswelt sozialverträglich gestaltet, Akzeptanz von Veränderungsprozessen erhöht und Innovationsprozesse mit Gestaltungsprozessen verknüpft werden?
Mitbestimmung und Interessenvertretung
Die Mitbestimmung und Interessenvertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Unternehmen (Aufsichtsrat), im Betrieb (Betriebsrat) sowie betriebsübergreifend (Tarifautonomie) sind wichtige Bestandteile der deutschen Wirtschaftsordnung. Es gilt zu erforschen, wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die ihnen institutionell zur Verfügung stehenden Beteiligungsrechte nutzen und welche operativen wie institutionellen Entwicklungspotenziale nötig und umsetzbar sind. Wichtige Perspektiven sind die soziale Binnenstruktur und mikropolitisch fundierte Entscheidungsprozesse in Beteiligungsgremien wie dem Betriebsrat.
Der Wandel der Arbeitswelt, gegenwärtig vorwiegend unter den Überschriften „Digitalisierung“ und „sozial-ökologische Transformation“ thematisiert, muss im Sinne der gesundheitlichen und ökonomischen Bedürfnisse der Belegschaften gestaltet werden. Gewerkschaften, Betriebs- und Aufsichtsräte nehmen bei der Gestaltung des Wandels nicht nur eine Schutz- sondern auch eine Gestaltungsfunktion wahr. Unser Interesse gilt in diesem Zusammenhang der Rolle und den Potenzialen institutionalisierter Arbeitnehmerinteressenvertretungen bei der Invention und Diffusion sozialer Innovationen. Hierzu bedarf es einer analytischen Mehrebenenperspektive (betrieblich, regional, national, europäisch).
Leitfragen:
- Wie beteiligen sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an unternehmenspolitischen Entscheidungen?
- Wie kann Mitbestimmung im Hinblick auf Wirtschaftsdemokratie ausgebaut werden?
- Welches Innovationspotenzial kann die institutionalisierte Arbeitnehmerbeteiligung auf welche Weise in die Gestaltung des Wandels der Arbeitswelt einbringen?
Partizipation und Empowerment:
Partizipation ist der Schlüsselfaktor zur Einlösung des Anspruchs, den Menschen in den Mittelpunkt der Arbeitswelt zu rücken. Partizipation bedeutet, das Erfahrungswissen und die Ansprüche der Beschäftigten substanziell in die Beschreibung, Bewertung und Veränderung ihrer Arbeitssituation (z.B. bei der Gestaltung oder Einführung neuer Technologien) einzubeziehen. Nachhaltige Partizipationsansätze sind auf ein Empowerment der Beschäftigten, d.h. auf eine weitreichende Stärkung ihrer Selbstorganisationsfähigkeit, Handlungsautonomie und Entscheidungsmacht nicht nur im Arbeitsvollzug, sondern gerade auch bei der Arbeitsgestaltung gerichtet. Wir interessieren uns dafür, wie das Zusammenwirken von Beschäftigten, Betriebsräten, Management und Führungskräften gestaltet werden muss, welche Management- und Führungskonzepte erforderlich sind, welche Infrastrukturen und Ressourcen benötigt werden, wie ein adäquates Wissensmanagement entwickelt werden kann oder welche Kompetenzen in Partizipationsprozessen bedeutsam sind und wie sie aufgebaut werden können.
Leitfragen:
- Wie können Betriebsräte unterstützt werden, den digitalen Transformationsprozess zu bewältigen?
- Wie können partizipative Management- und Führungsansätze vor dem Hintergrund der Digitalisierung weiterentwickelt werden?
Innovation und Wissen:
Innovationsfähigkeit gilt gleichermaßen als Voraussetzung von Wettbewerbsfähigkeit und verbesserten Arbeitsbedingungen. Wir folgen einem Innovationsverständnis, welches soziale Dimensionen in den Vordergrund rückt und neue Technologien als gestaltungsabhängige „Enabler“ betrachtet. Unser Interesse richtet sich darauf, wie organisationale Voraussetzungen, Kompetenzen und Befugnisse der Beschäftigten zu erweitern sind, damit sie zu Triebkräften von Verbesserungs- und Innovationsprozessen sowie neuen Geschäftsmodellen werden. Innovationsfähigkeit hängt zunehmend auch von der Nutzung unternehmensexterner Wissensquellen ab: Wir beschäftigen uns sowohl mit unternehmensgetriebenen Formen des Einbezugs von Kund:innen und Nutzer:innen zum Zwecke der Produktentwicklung und -gestaltung als auch mit zivilgesellschaftlichen Versuchen, gesellschaftliche Bedarfe an die Unternehmen heranzutragen (Open Innovation und Co-Creation).
Auch die Zusammenarbeit der Institutionen der Arbeitnehmerinteressenvertretung, wie Gewerkschaften, Betriebs-, Personal- und Aufsichtsräte, und der (Arbeits-) Wissenschaft ermöglicht die Entwicklung wichtiger arbeitspolitischer Innovationen. Wir tragen dazu bei, indem wir – ganz in der Tradition der ehemaligen Kooperationsstelle Wissenschaft und Arbeitswelt Dortmund – die Kooperation mit lokalen Gewerkschaftsgremien und betrieblichen Interessenvertretungsorganen durch Austausch und gemeinsame Projekte gestalten. Auf nationaler Ebene kooperieren wir mit den zahlreichen Kooperationsstellen in Deutschland.
Leitfragen:
- Wie kann die Einbeziehung von Kompetenzen der Beschäftigten in Entscheidungs- und Problemlösungsprozessen verbessert werden?
- Welche neuen Formen der Integration unternehmensexternen Wissens entwickeln sich und wie verändert sich der Wertschöpfungsprozess dadurch?
- Wie kann die Kooperation zwischen Wissenschaft und Arbeitswelt die Arbeitnehmerperspektive in betriebliche und gesellschaftliche Innovationsprozesse einbringen?
2018 wurde das Forschungsgebiet „Industrie- und Arbeitsforschung“ (FIA) der ehemals Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der TU Dortmund (unter Leitung von Prof. Hartmut Hirsch-Kreinsen) an der Sozial­forschungs­stelle im Forschungsbereich angesiedelt. Das Forschungsgebiet untersucht die Perspektiven von neuer Industriearbeit im Kontext von Industrie 4.0 und digitaler Transformation (www.neue-industriearbeit.de). In verschiedenen Projekten haben wir u.a. die Einführung von Cyber-Physical Systems (CPS) in kleineren und mittleren Betrieben, den Einsatz digitaler Assistenzsysteme oder ‚hybride‘ Formen der Mensch-Technik-Interaktion in Produktion und Logistik untersucht.
Ein weiterer Schwerpunkt des Forschungsgebietes liegt auf der Bedeutung und Zukunft von „Einfach­arbeit“ (www.einfacharbeit.de), d.h. Tätigkeiten, die keine einschlägige Berufsausbildung voraussetzen, ohne die Herausforderungen von Fachkräftesicherung und qualifizierter Arbeit in der Transformation zu vernachlässigen. In unseren Studien konnten wir u.a. verschiedene Pfadabhängigkeiten sowie unterschiedliche Entwicklungsszenarien in der Anpassung von einfacher und qualifizierter Arbeit nachzeichnen. Hierbei richtet sich auch ein besonderes Augenmerk auf neue Herausforderungen, die sich in den Funktionen der Partizipation und Mitbestimmung sowie der Interessenorganisationen ergeben.
Neben dem wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse ist es ein wesentliches Ziel unserer Arbeit, einen Beitrag zur Versachlichung des öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurses um Digitalisierung, Arbeitskraftentwicklung, Transformation und ihre sozialen Folgen zu leisten.
Zentrale Fragestellungen:
Wie verändert sich Industriearbeit im Zuge des Transformationsprozesses in Produktion und Logistik (Industrie 4.0, Künstliche Intelligenz, nachhaltige Produktion)?
Welche Entwicklungspfade von Arbeit in einfachen und qualifizierten Tätigkeiten zeichnen sich in der Region und der Gesellschaft ab?
Aufgrund des inter- und transdisziplinären Zugriffs vieler Verbundprojekte sind wir regional und bundesweit vernetzt mit sozialwissenschaftlichen Instituten und ingenieurwissenschaftlichen Forschungseinrichtungen (u.a. Fraunhofer IML; Fraunhofer IAO; FIR; RWTH Aachen; Ruhr-Universität Bochum), mit Stiftungen und gewerkschaftlichen Einrichtungen. Wir verfügen über vielfältige Kooperationsbezüge zu kleinen und mittelgroßen Unternehmen. Wir sind aktiv im Netzwerk Arbeitsforschung der sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitute in NRW sowie in weiteren arbeits- und industriesoziologischen Netzwerken. Als Mitinitiator des European Network of Workplace Innovation (EUWIN) setzen wir uns auf europäischer Ebene mit dem Konzept der Workplace Innovation als sozialer Innovation auseinander.