Arbeit, Organisation, Geschlecht
Im Mittelpunkt der Arbeit des Bereichs steht die Frage, inwiefern sich das Verhältnis von Arbeit und Geschlecht in Verbindung mit den aktuellen Transformationsprozessen in Wirtschaft und Arbeitswelt ebenfalls in einem Wandlungsprozess befindet. Prognosen in Bezug auf die Arbeitswelt der Zukunft – z.B. in Bezug auf neue Arbeitsformen, neue Formen der Rationalisierung, der Arbeitsorganisation oder der Bewertung von Arbeit – werden dabei verknüpft mit potentiellen Ansatzpunkten für einen Wandel der Geschlechter­verhältnisse im Sinne von mehr Geschlechtergerechtigkeit.
Ein Wandel wird auch in betrieblichen Austauschbeziehungen deutlich. Diese zeichnen sich durch positiv und negativ wirkende Kräfte aus, die Spannungen verursachen. Daraus entstehende Verhältnisse sind veränderbar, verhandelbar und zum Teil widersprüchlich. Im Fokus des Forschungsbereichs stehen diese Spannungsverhältnisse, sowie Handlungsansätze, welche einen reflexiven Zugang zu den aktuellen Veränderungen, z.B. im Zuge der Digitalisierung der Arbeitswelt, ermöglichen und über die Kritik bisheriger Geschlechter­verhältnisse hinausgehen.
Im Forschungsbereich geht es darüber hinaus darum, die Forschungsstränge der Arbeits-, Industrie- und Organisationsoziologie als auch der Geschlechterforschung miteinander zu verknüpfen. Dabei wird das Geschlechterverhältnis als integraler Bestandteil der Analyse, der Bewertung und der Gestaltung von Arbeit und Organisation begriffen. Ohne die Berücksichtigung von Geschlecht als zentrale gesellschaftliche Struktur- und Prozesskategorie, ist weder ein angemessenes Verständnis der gesellschaftlichen Organisation von Arbeit noch die Entwicklung von Handlungsansätzen für mehr (geschlechter-)gerechte Arbeit möglich.
Ziel ist es, empirisch fundierte Erkenntnisse zu generieren, welche die Grundlage für die Überwindung hierarchischer Geschlechterkonstruktionen bilden können. Insofern hat die Forschung hier auch einen emanzipatorischen Anspruch und schafft Ansatzpunkte für die Gestaltung einer sozial nachhaltigen Arbeitswelt.
Seit den frühen 1980er Jahren befassen sich die Forscher:innen im Bereich mit Fragen der Arbeitsmarktintegration von Frauen, deren beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten bzw. den Mechanismen, die die berufliche Entwicklung von Frauen behindern. Arbeitsmarktsegregation, Vereinbarkeitsherausforderungen zu Lasten erwerbstätiger Frauen, ungleiche Einkommens- und Aufstiegschancen, unterschiedliche Partizipationsmöglichkeiten von Frauen gegenüber Männern in betrieblichen Reorganisationsprozessen, Typiken sogenannter Frauenberufe, Dienstleistungsarbeit in sogenannten Frauenbranchen – die Forschung zu diesen Themen zeigte über die Jahrzehnte widersprüchliche Befunde.
Dabei sind die Optionen für Frauen in der Berufswelt durchaus vielfältiger geworden. Qualifizierte, existenzsichernde lebenslange Erwerbsarbeit ist zum selbstverständlichen Anspruch von Frauen geworden, die Erwerbsquote von Frauen ist so hoch wie nie und Frauen in Führungspositionen sind keine Seltenheit mehr. Zugleich sind Frauen in sehr viel höherem Maße als Männer in Teilzeit und gering entlohnter Arbeit tätig. Es gibt also einerseits empirische Belege für eine Abnahme der Bedeutung der Geschlechterdifferenz, andererseits zeigt aber bereits ein Blick in die Arbeitsmarkt- und Berufsstatistiken die Persistenz geschlechterhierarchischer Arrangements in der Arbeitswelt. Und ein Blick über die Arbeitswelt hinaus in die Welt unbezahlter Arbeit bestätigt, dass die gesellschaftliche Arbeitsteilung die private Sorgearbeit immer noch weitgehend Frauen überantwortet.
Geschlecht ist also immer noch ein strukturierendes Prinzip von Gesellschaft. An Geschlechter werden nach wie vor bestimmte unterschiedliche Erwartungen gestellt, mit den bekannten, Frauen benachteiligenden Wirkungen. Die Geschlechterstrukturen in der Arbeit haben sich – im historischen Maßstab – einerseits schnell verändert, andererseits erweisen sie sich als sehr stabil.
- Welche Prozesse in Organisationen weisen auf eine Erosion, einen Wandel und welche auf eine Stabilität oder Reproduktion von Geschlechterungleichheit hin?
- Wo zeichnen sich Grenzen, wo Öffnungsmomente ab, und wie sind diese Prozesse genauer zu bestimmen?
- Wo, wie, durch wen, warum und unter welchen Bedingungen wird in den aktuellen Prozessen, u.a. in der Digitalisierung von Arbeit, Geschlecht relevant (gemacht) bzw. werden tradierte Segregationslinien durchbrochen?
- Welche Erklärungspotenziale bietet die Kategorie Geschlecht angesichts der Ausdifferenzierungen von Geschlechterverhältnissen und von Handlungsspielräumen innerhalb der Geschlechtergruppen?
- Wie können „flexibler“ werdende Geschlechter­verhältnisse theoretisch und empirisch angemessen erfasst werden?
- Können die derzeit stattfindenden betrieblichen Veränderungsprozesse genutzt werden um geschlechterbezogene Benachteiligungen abzubauen?
- Welche Interventionsmöglichkeiten im Sinne des Abbaus der Geschlechterungleichheiten sind erkennbar?
Forschungsstränge und Themenfelder
Im Kontext der Themen „Digitalisierung, Arbeit und Geschlecht“ steht die Frage im Mittelpunkt, welche Chancen und Risiken in Prozessen der Digitalisierung für Frauen und Männer sowie für eine geschlechtergerechte Arbeit der Zukunft entstehen. Eine These ist, dass Techniken der Digitalisierung und Vernetzung Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern reproduzieren können, wenn dem nicht aktiv bei der Gestaltung von Technik und Arbeit entgegengewirkt wird. Hier ist ein Blick in die Informatik und Technikwissenschaften erhellend. So werden beispielsweise in der Roboterentwicklung „biologische Konstruktionsleistungen“ festgestellt, indem Intelligenz, Gesundheit oder Erfolg weiterhin in den Genen und Gehirnstrukturen usw. verortet werden. Diese (Re-) Naturalisierungen und „Rhetoriken des Natürlichen“ tragen dazu bei, dass sich Geschlecht als Strukturkategorie nicht in technowissenschaftlichen Praktiken auflöse, so einige Informatikexpert:innen. Zu beobachten ist u.a. eine neue Stufe der „programmierten Diskriminierung“. Die Geschlechterforschung hat bereits seit den 90er Jahren wesentliche Aspekte der Konstruktion von Geschlecht und Technik herausgearbeitet. Zu nennen ist hier die z.T. bis heute propagierte fehlende Technikkompetenz von Frauen. Vorläufige Ergebnisse zeigen, ohne eine Beteiligung von Frauen und ohne das Ziel der Chancengleichheit werden die aktuell stattfindenden Digitalisierungsprozesse geschlechterdifferente Strukturen beibehalten.
Der Forschungsbereich setzt sich mit den Chancen und Risiken der Einführung neuer gleichstellungspolitischer Steuerungsinstrumente, u.a. im Zuge der Hochschulreform auseinander. Gerade hier wird das Zusammenwirken gesellschaftlicher bzw. politischer Impulse und Vorgaben sowie organisationaler Handlungskontexte besonders deutlich. Perspektivisch werden auch hier digital gestützte Steuerungsverfahren und -instrumente zusätzliche genderdifferenzierende Effekte bei der Organisation wissenschaftlicher und verwaltender Tätigkeiten an Hochschulen hervorrufen.
Seit langem beschäftigt sich der Forschungsbereich mit Studien zur Arbeit in frauendominierten Dienstleistungsbranchen, insbesondere zum Einzelhandel. Im Einzelhandel lässt sich über die Dekaden exemplarisch verfolgen, wie die Deregulierung und Flexibilisierung von Beschäftigung voranschreitet, wie die Entwertung beruflicher Qualifikationen den Kampf von Frauen um einen qualifizierten Beruf erschwert und wie sich hierarchische Geschlechter­verhältnisse zugleich verflüssigen und in anderer Form stabilisieren. Aktuell wird hier das Thema Respekt in der interaktiven Dienstleistungsarbeit verfolgt.
Neue Formen der Beschäftigung und Selbstständigkeit können angesichts arbeitsmarktpolitischer Veränderungen bei gleichzeitig nach wie vor bestehenden und geschlechterdifferenziert wirkenden Organisationstrukturen eine berufsbiografisch bedeutsame Option für Frauen sein. Sie bieten die Möglichkeit einer flexiblen und ausbildungsadäquaten beruflichen Beteiligung für Frauen. Allerdings nutzen Frauen diese Möglichkeit nach wie vor deutlich seltener als Männer. Die Gründe hierfür sind vielfältig und reichen von geschlechterdifferenten Motivlagen über unterschiedliche strukturell bedingte Startchancen bis hin zu stereotypen Bildern in Bezug auf Geschlecht und Unternehmertum, welche nicht nur in Unternehmen wirken, sondern immer im Kontext des regionalen und allgemeinen gesellschaftlichen Umfelds.
Das Thema der Zeitsouveränität spielt in den heutigen Debatten zur Zukunft der Arbeit eine entscheidende Rolle. Arbeitszeiten und Arbeitszeitgestaltungsmöglichkeiten bewegen sich dabei u. a. im Spannungsfeld von zunehmender Arbeitsverdichtung und der Qualität der Zusammenarbeit. Dies trifft insbesondere auf Diskussionen um lebensbegleitende Arbeitszeitgestaltungsmöglichkeiten für die Wechselfälle des Lebens zu. Umstrukturierungen in Betrieben und Verwaltungen führen in der Regel zu Personaleinsparungen und Arbeitsverdichtungen, mit Folgen für die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familie, bzw. mit Folgen für eine selbstbestimmte Erwerbsbiografie. Gerade im Zuge der durch die Digitalisierung vorangetriebenen Veränderungen der Arbeitswelt ist das Thema wieder von zunehmendem Interesse. Zentrale Begriffe sind hier unter anderem die Themen „Mobiles Arbeiten“ und „Homeoffice“.
Betriebsklima und soziale Beziehungen am Arbeitsplatz sind in den letzten Jahren wieder häufiger zum Gegenstand gesellschaftspolitischer und betrieblicher Diskussionen geworden. Umfragen belegen die hohe Bedeutung, die diesem Aspekt der Arbeit von den Beschäftigten beigemessen wird. Häufig steht das Betriebsklima bei der Beurteilung der eigenen Arbeit an vorderster Stelle. Betriebsklima ist schwer zu definieren, weil es so selbstverständlich erscheint. Wenn über das Betriebsklima gesprochen wird, kommt darin zum Ausdruck, wie Beschäftigte die Zusammenarbeit erleben. Sie beurteilen die Verhältnisse nach ihren Ansprüchen an Gerechtigkeit und Solidarität. Gerechtigkeit und Solidarität spielen auch im Geschlechterdiskurs eine entscheidende Rolle. Zu fragen ist also auch, welche Auswirkungen gutes oder schlechtes Betriebsklima auf die Arbeit und Gesundheit von Frauen und Männern hat.
Die Bearbeitung der verschiedenen Themen in den Projekten folgt grundlegenden forschungsleitenden Annahmen.
Einschätzungen zum Verhältnis von Gender und Diversity bieten Anlass für kontroverse Auseinandersetzungen. Diversity Konzepte kommen mit dem Problem, dass parallel zur Auflösung geschlechtersegregierter und geschlechterhierarchischer Strukturen in Unternehmen immer wieder auch neue Spaltungen entstehen. Mit einer geschlechtersensiblen Perspektive könnte Diversity Management zu einem umfassenden betrieblichen Konzept von Ökonomie und Chancengleichheit werden. Voraussetzung ist, hemmende und fördernde Faktoren zu erkennen, Deutungsmacht zu gewinnen und die im Gestaltungsprozess entstehenden Gelegenheiten zu nutzen. Dazu müssen die Bezugspunkte des verwendeten Diversity Begriffs klar benannt werden: Worauf zielt der gewählte Ansatz? Trägt er Chancengleichheit in sich? Was ist das Leitbild, was die Praxis? Wer legt die Differenzlinien fest? Wer verfolgt welche Interessen? Wer will welchen Nutzen ziehen?
Geschlechterstereotype spielen nach wie vor eine entscheidende Rolle bei der Konstruktion von (benachteiligender) Geschlechterdifferenz. Sie werden im alltäglichen Handeln nicht hinterfragt und haben impliziten und expliziten Einfluss auf Entscheidungen und den Umgang miteinander. Eine geschlechterdifferenzierte Arbeitsteilung basiert auf einer Art (impliziten) Geschlechterwissen. Dieses existiert bewusst oder unbewusst in den Köpfen von Frauen und Männern. Interessant ist, wann es Bedeutung erlangt. Auch dort, wo Geschlechterdifferenzen im Arbeitsalltag nicht oder nicht mehr erkennbar sind, steht Geschlechterwissen als (diskriminierendes) Strukturierungsprinzip latent zur Verfügung. Es kann „aufgerufen“ werden und dient zur Konstruktion von Differenz und Hierarchie im Geschlechterverhältnis – verbunden mit ungleichen Chancen. Stereotype Zuschreibungen können wirkmächtig werden, obwohl klar ist, dass die Zuschreibungen nie auf alle Frauen bzw. Männer zutreffen. Solch ein Geschlechterwissen gleicht einem Erfahrungswissen, welches die Gewissheit der Beschäftigten darüber beinhaltet, was von ihnen erwartet wird und was sie erwarten können.
Das Thema Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Sorgearbeit – begriffen als Anforderung an erwerbstätige Menschen, für sich und andere zu sorgen, die eigene Arbeitsfähigkeit zu erhalten, die nächste Generation aufzuziehen und / oder pflegebedürftige Angehörige zu versorgen – wird im Forschungsbereich ebenfalls weiterhin verfolgt, sei es als Ausdruck struktureller Überforderung konkreter erwerbstätiger Menschen, als Karrierehindernis für Frauen wie für Männer, als Handlungsanforderung an bisher weitgehend „sorgevergessene“ Erwerbsorganisationen, sowie als Handlungsanforderung an Arbeits(markt)-, Sozial-, Bildungs- und Steuerpolitik.
- „RespectWork: Entwicklung gegenseitigen Respekts in der Kundeninteraktion zur Verbesserung von Arbeits- und Dienstleistungsqualität“ – vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördertes Verbundprojekt
- „Arbeit und Geschlecht in der aktuellen Forschung und Forschungsförderung“ – finanziert durch die Hans-Böckler-Stiftung
- „Die Zukunft der industriellen Einfach­arbeit aus der Geschlechterperspektive“, im Rahmen des am Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung (FGW) angesiedelten Themenbereichs „Digitalisierung von Arbeit / Industrie 4.0“ – gefördert durch das Wissenschaftsministerium des Landes NRW
- „Digitalisierung, Arbeit und Geschlechter­verhältnisse am Beispiel der Sachbearbeitung in Dienstleistung und Industrie“ – finanziert von der Hans-Böckler-Stiftung
- „Widersprüchliche Integration von Frauen in Dienstleistungsarbeit“ (Teilprojekt im Rahmen des Verbundprojektes „e-Labour“) – gefördert vom BMBF