Dissertation von Sonja Kirschall gefördert von Open Library Community im Open Access erschienen
Hintergrund ihrer Beschäftigung mit der Art und Weise, wie tastsinnlich wirksame Qualitäten audiovisueller Medienprodukte bislang aufgefasst und theoretisiert worden sind, waren die Beobachtungen, dass die das Themengebiet seit mehr als 20 Jahren bestimmende Theorie haptischer Visualität nach Laura U. Marks (Dies. 2000: The Skin of the Film. Intercultural Cinema, Embodiment, and the Senses. Durham/London: Duke UP) einerseits an die Grenzen ihrer Beschreibungsfähigkeit stößt, wenn damit die zunehmend in Populärkultur, Werbung und Filmproduktion vordringenden, audiovisuell teletaktilen Ästhetiken der wachsenden ASMR-Community untersucht werden sollen. Andererseits fußt sie bereits für sich genommen auf einer Dichotomie von stark körperlich erlebten, haptischen und unkörperlich-distanziert wahrgenommenen, optischen Bildern, die sie bei genauerer Betrachtung für rigoros leibphänomenologische Analysen nicht optimal erscheinen lässt und keine hinreichende Anschlussfähigkeit an neuere einschlägige kognitionswissenschaftliche sowie (queer-)phänomenologische Ansätze bietet.
Die Prämissen, Implikationen, diskursiven Effekte und Nachteile dieses bislang erstaunlicherweise selten kritisierten Denkmodells schlüsselt Sonja Kirschall entlang verschiedener diskursgeschichtlicher und ästhetisch-analytischer Untersuchungen auf. Sie zeigt, dass sich bislang gespaltene Denkschulen des Haptischen verbinden lassen und entwirft ein systemisches Denkmodell der Tastsinnlichkeit des Audiovisuellen, das Bild-Ton-Komplexe als Schichtungen verschiedener Aufmerksamkeits- und Ausrichtungsangebote begreift, die alle den Tastsinn in Dienst nehmen, aber je verschiedene seiner Facetten und ihre Wechselwirkungen für die filmästhetische Vermittel- und Erzählbarkeit komplexer Machteffekte produktiv machen. So kommt sie zur Inventarisierung möglicher Modi filmischer Tastsinnlichkeit und zur Bildung eines spezifischen Vokabulars als Handwerkszeug einer dieserart interessierten, hapto−taktilen Filmanalyse, welche sie abschließend an der Filmbiografie Le Scaphandre et le Papillon (Schmetterling und Taucherglocke, FR/USA 2007, Julian Schnabel) demonstriert.
Die Dissertation, mit der Sonja Kirschall im Fach Medienwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum summa cum laude promoviert wurde, ist im Rahmen der Kollektion "Open Library Medienwissenschaft 2024" des transcript Verlags vollfinanziert im Goldenen Open Access erschienen. Sie wurde dafür vom Editorial Board der Open Library Community Medienwissenschaft ausgewählt und ausgezeichnet.
Sonja Kirschall ist im Forschungsbereich "Arbeitspolitik und Gesundheit" im BMBF-Projekt "DepriBuddy – Design-Thinking-basierte Modellierung medialisierter Nähe und App-Entwicklung für ein Selbsthilfenetzwerk“ beschäftigt.
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Audiovision zwischen Hand und Haut bei transcript